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Chili für die Heldin

Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung sind die Grundlagen des Lebens. Aber wie kocht man sich eine Frau ins Bett? Matthias B. gibt Ratschläge zur Erhaltung der Art.

Schon mal eine Frau mit Kochen verführt? Nein? Ist irre leicht. Und sehr wirkungsvoll. Warum? Liegt doch auf der Hand.

Erstens geht Liebe durch den Magen. Frauen leben ohnehin mehr über den Bauch als Männer. Essen, das ist die Welt der Sinne, Gefühle pur. Da heißt es schlingen, schlucken, reißen, beißen, und denken Sie nur mal an die Zunge: Wie die allein beim Verspeisen einer lausigen Nudel im Mund fuhrwerkt.

Zweitens ist da das Unterbewußte. Gefüttert werden. Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung sind die Grundlagen des Lebens, und diese enge biologische wie gefühlsmäßige Nachbarschaft kommt dem Zweck des Kochens gelegen. Man ist bereits beim Thema, bevor es richtig losgegangen ist.

Der dritte Punkt ist moralisch anfechtbar. Aber sind wir Verbrecher? Ja. Also auf den Tisch damit: Das Objekt der Begierde betrunken machen, bringt gar nichts, aber so ein bißchen angeschickert ... Klar, das isses. Nur: Frauen sind ja nicht blöd.

Was haben Sie schon alles in obskuren Etablissements und Cocktailbars gelassen, und wozu das Ganze? Damit die Erwählte, die nur jedes zweite Getränk genommen hat, zu später Stunde das Taxi ruft, weil sie die geistige Verglasung ihres Gegenübers nicht hinnehmen mag. Traurige Stunden sind das.

Was andererseits ist unverfänglicher, harmloser, angenehmer, als während des Essens ein Glas zu trinken? Der Wein labt den Gaumen, liebkost die Speisen. Ein Essen von drei oder vier Gängen bietet genügend Zeit und Gelegenheit, die Angebetete via dosierter Intoxikation in den gewünschten entspannt-bereiten Gemütszustand zu versetzen.

Natürlich gibt es auch gute Restaurants. Dann stinkt die Wohnung nicht nach Essen, es gibt keine Sauerei in der Küche, und was dem Koch danebengeht, marschiert zurück.

Gehen Sie doch weiter ins Restaurant! Und dann: Wollen wir noch auf ein Glas zu mir gehen?

Sie können die Anvisierte auch nach Hause bringen; wenn es klappt, dürfen Sie mit hochkommen. Wohlgemerkt wenn, denn nun ist es die Frau, die das weitere kontrolliert. Das war allerdings nicht der Plan.

Jetzt aber zum Kochen. Die Einladung zum Essen in die Wohnung des Kochs. Das begehrte Objekt betritt freiwillig, vielleicht ein wenig, aber nicht allzu arglos die Höhle des Löwen. Das ist weit mehr als die halbe Miete.

Ja, toll, mag jetzt mancher bitter denken, aber wie soll ich erfolgreich eine Frau bekochen, wenn ich nicht einmal weiß, von welcher Seite man ein Ei aufschlägt? Ganz einfach: Sie bereiten ein paar Gerichte zu, bei denen Sie nichts falsch machen können.

"Ich nehme das Steak mit Salat, da kann man nichts falsch machen", sagt die Frau, die ich Uneingeweihten gegenüber gewöhnlich als meine Frau ausgebe, wenn wir irgendwo in der Fremde ein unzuverlässig anmutendes Lokal betreten. Sie sagt das, um mir Mut zu machen, denn natürlich wissen wir beide genau: Man kann beim Kochen alles falsch machen.

Es tummeln sich verrückterweise gerade unter jenen, die damit ihr Geld verdienen, nicht wenige Burschen, die es schaffen, ein Spiegelei fertigzumachen, eine harmlose Kartoffel bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen, ein gestandenes Reiskorn elend zu verschleimen.

Aber zurück zum Thema: Wie koche ich mir eine Frau ins Bett? Dazu im folgenden vier Gänge (Vorspeise, Suppe, Hauptgericht, Nachtisch), die jeder blutige Anfänger mit dem erwünschten Erfolg zubereiten kann.

Womit geht´s los? Champagner, keine Frage. Und zwar so eine 0,375-Liter-Flasche. Die reicht für zwei, und die Angebetete kommt nicht auf die Idee, sie solle brachial abgefüllt werden. Wem der Preis von 20 Mark zu hoch ist, der mache sich klar: Es gilt, jene Frau zu gewinnen, die gerade zwei Drittel der eigenen Gedankenwelt beherrscht.

Inzwischen hat es geklingelt. Das begehrliche Objekt sitzt mit einem Glas Schampus in der Hand am Küchentisch und erfreut sich am emsigen Werkeln zu seinen Gunsten. Sie reden derweil über - das Essen. Gibt es Schöneres, als hungrig inmitten von aromatischen Lebensmitteln über Essen zu plaudern?

Dank guter Planung ist die Vorspeise schon fast fertig: Bresaola-Carpaccio, ein kleiner Hit für sich.

Dazu braucht es zirka 60 Gramm italienischen Bresaola (luftgetrockneten Rinderschinken) oder - quasi baugleiches - Bündner Fleisch aus der Schweiz, so dünn wie irgend möglich geschnitten, also hauchdünn. (Oft muß man insistieren, weil die Bedienung behauptet, es ginge nicht dünner. Es geht aber immer noch ein bißchen dünner.) Bresaola gibt es beim italienischen Händler, Bündner Fleisch in gut sortierten Metzgereien und in Kaufhäusern.

Außerdem werden etwa 50 Gramm Ruccola-Salat benötigt, dabei acht bis zehn Cherry-Tomaten. Cherry-Tomaten sind sehr aromatisch. Zur Kontrolle eine greifen und reinbeißen (Händler vorher fragen!). Die Frucht muß mehr süß als sauer sein. Ist sie mehr sauer als süß: woanders kaufen.

Noch fehlen schwarzer Pfeffer aus der Mühle, ein 100-Gramm-Stück Parmesan, gutes Olivenöl und Aceto Balsamico, eine italienische Essigsorte.

Nun zu den lästigen Handarbeiten. Ruccola zupfen, in der Spüle im kalten Wasser waschen, auf ein Handtuch legen und gut von beiden Seiten trocknen. Die schönsten (glatten) Blätter auf zwei mittelgroßen Tellern verteilen. Krauselige Blätter nebenbei verzehren.

Die Bresaola-Scheiben auseinanderzuzeln und sternförmig auf dem Ruccola verteilen (sieht am hübschesten aus). Acht bis zehn Scheiben pro Nase sind ideal.

Jetzt den Bresaola mit Aceto beträufeln. Die eingesetzte Menge ist Geschmackssache. Als Faustregel gilt: Wenn Sie denken, das war jetzt sicher zuviel, dann kann ruhig noch ein kleines bißchen drauf. Das luftgetrocknete Fleisch nimmt den Aceto ungemein gut auf. Den Aceto lassen Sie in das Fleisch einziehen, was mindestens 15 Minuten dauert.

In Gegenwart der Zielperson legen Sie letzte Hand an, indem Sie auf jeder Scheibe Bresaola eine halbe Cherry-Tomate deponieren und - weil´s gut ausschaut - noch eine halbe Tomate in der Tellermitte.

Pfeffern. Kurz vor dem Servieren mit Olivenöl beträufeln und ganz zum Schluß den Parmesan grob darüberraspeln.

Jetzt essen.

Der Champagner dürfte mittlerweile geleert sein, und Sie werden eine erste Veränderung an ihr feststellen. Der Guten dämmert mittlerweile, daß Außergewöhnliches im Gange ist, daß sich jemand besondere Mühe gibt zu gefallen.

Sie ist gespannt, was als nächstes passiert, und, vor allem, ob er alles so gut kann. Punkt zwei läßt sich vorerst nicht beantworten, und was das Niveau anlangt, legt der Koch die Latte nochmals höher: mit einer Kälberschwanzsuppe.

Es ist kaum zu glauben, wie unglaublich lecker und dazu leicht dieses Süppchen herzustellen ist. Die Kälberschwanzsuppe können Sie Tage vorher zubereiten.

Fragen Sie beim Schlachter nach Kälberschwanz, wahrscheinlich muß er ihn extra ordern. Wer ißt heute noch Kälberschwanz?

Das in seine Glieder zerschnittene Stück Schwanz befreien Sie mit kleinem, scharfem (!) Messer erstmal von jeglichem Fett, dessen Sie ansichtig werden. Es sitzt häufig am Knorpel, so daß die Klinge manchmal den Knorpel schneidet und winzige Rinnsale von Blut austreten ... überhaupt tritt Blut aus, ist ja Fleisch.

Jetzt wird es spannend: Einen großen Topf auf die Herdplatte und volle Hitze geben. Werfen Sie die Schwanzstücke hinein. Kein Fett? Kein Fett. Ratschen Sie mit einem Holzlöffel das Fleisch los, damit es bräunen kann. Aber das brennt ja alles an! Weitermachen.

Inzwischen gibt das Fleisch leise Zischlaute von sich, wenn Sie es im Topf bewegen. Der Boden nimmt eine bedenklich braunschwarze Färbung an. Höchste Zeit, das Fenster aufzureißen. Drehen Sie die Hitze herunter und gießen Sie zügig einen guten Liter Wasser in den Topf, aber halten Sie etwas Abstand (ausgestreckter Arm).

Die Flüssigkeit auf kleiner Flamme vor sich hinblubbern lassen. Es bildet sich häßlicher Schaum. In dieser Zeit steht der Koch neben dem Herd und schöpft (mit einem Eßlöffel) akribisch allen Schaum weg, bis sich keiner mehr bildet. Das macht die Suppe klar.

Nehmen Sie nun ein Bund Suppengrün, schneiden Sie alles grob und geben Sie es mit einem Teelöffel Salz und zehn schwarzen Pfefferkörnern in die köchelnde Suppe. Deckel drauf und noch kleiner stellen.

Gehen Sie eine Stunde spazieren und verarbeiten Sie in Ruhe Ihre Erkenntnis, daß Kochen mitunter eine knallharte Angelegenheit sein kann (Köche sind keine Memmen). Ihre Wohnung braucht Durchzug.

Nach einer Stunde ist die Suppe fast fertig. Der Topfinhalt wird durch ein Sieb gegossen. Zurück bleiben rund 0,7 Liter Flüssigkeit.

Fischen Sie die fleischhaltigsten Schwanzstücke aus dem Gemenge und pulen Sie ungefähr eine Handvoll Fleisch von den Knochen. Zerschneiden Sie es quer zur Faser zu Stückchen von zwei Zentimeter Kantenlänge.

Zurück in die Suppe und 0,1 Liter guten Rotwein hinzu. Jetzt noch mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Einen Moment vor dem Servieren schleichen Sie noch mal in die Küche und werfen eine Handvoll feingestiftelte Möhren in die siedende Kälberschwanzsuppe.

Das bringt Farbe und zusätzliches Aroma. Die Möhren brauchen nicht länger als zwei Minuten. Mit der Suppe kredenzen Sie einen leichten Rotwein, den Sie eine Stunde zuvor geöffnet haben.

Sie wird um einen Nachschlag bitten, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ein Glück, daß gerade noch eine Portion übrig ist, die versagen Sie sich doch gern. Sie besteht darauf, zu teilen? Bestens. Das Uhrwerk läuft.

Kurze Zwischenbilanz: Natürlich hat sie inzwischen Verdacht geschöpft. Andererseits ist sie bereits soweit angefüttert, daß sie zwar noch an Rückzug denkt, sich aber innerlich weigert, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Es warten ja noch Hauptgericht und Dessert. (Wenn sich die Zielperson jetzt tatsächlich verabschiedet, zollen Sie ihr den Respekt, der einer Heldin gebührt. Der Plan geht aber anders.)

Beruhigen Sie die Liebe, indem Sie ihr Gründe hinwerfen, die das Bleiben leicht machen: Das sei doch gar nichts! Sie kochen eben einfach gern usw. Lenken Sie auf ein unverfängliches Thema, Urlaub oder so. Bald wird die Zielperson Persönliches von sich erzählen. Nehmen Sie das nicht persönlich, sondern gefällig entgegen. Sie ist dankbar und möchte ihrerseits etwas geben. Weil gerade nichts anderes zur Hand ist, schenkt sie Ihnen ihr Vertrauen. Sie reagieren mit dem Hauptgericht.

Dafür benötigen Sie: 200 Gramm Lammfilet, 1 rote oder gelbe Paprikaschote, 1 rote Chilischote, 15 Gramm getrocknete Steinpilze, 2 Knoblauchzehen, frischen Salbei, frischen Estragon, bißchen Sahne, bißchen Wein, 1 Fladenbrot oder Artverwandtes. Zucker. Salz.

Das Hauptgericht ist kein geschmacklicher Hammer, aber lecker genug, um die Zielperson weiter jenem Strudel von Leidenschaft zuzutreiben, in dem sie zur rechten Zeit ertrinken soll.

Brausen Sie die Pilze kurz ab und weichen sie in einem mit warmem Wasser gefüllten Suppenteller mehrere Stunden ein. Die Pilze hin und wieder ein bißchen herumstupsen. Das sich braun färbende Wasser dient später als Saucen-Grundlage.

Anschließend die Paprika halbieren, Kerne rauskehren, Restkerne beim Waschen entfernen. Die Paprika in daumennagelgroße Stücke teilen. Knoblauch pellen und achteln. Die Chili längs halbieren, mit der Fingerspitze an einer Schnittstelle berühren und den Finger kurz an die Zunge halten. Urteilen Sie nun, wieviel Chili Sie verwenden wollen. Das Hauptgericht soll scharf werden. Scharf.

Das Lammfleisch schneiden Sie quer zum Faserlauf in kleine feine Scheiben. Alles - außer dem Pilzteller - kühl und dunkel lagern.

Gerade haben Sie die Suppe abgetragen. Nun kommt - Überraschung - ein Rosé auf den Tisch. Gewöhnen Sie sich einfach an den Gedanken, daß sie Überraschungen liebt.

Vielleicht haben Sie schon einmal erlebt, wie Kenner Roséwein zu beschimpfen pflegen, kein Fisch, kein Fleisch usw. ... Die Leute haben völlig recht und ansonsten drauf gepfiffen. Ein guter Weinhändler wird wenigstens einen empfehlenswerten Rosé oder "Gris de Gris" (sprich Griedegrieh) auf Lager halten. Den gut gekühlten Wein gießen Sie in frische Gläser.

Im nächsten Schritt erfolgt die Einbindung der Zielperson in das Kochgeschehen: Sie wird die Zubereitung dieses Ganges persönlich beobachten können, um a) eventuell aufgekommenes Mißtrauen im Keim zu ersticken und b) weil es zum Plan gehört.

Binden Sie sich eine Kochschürze um. Die wirkt routiniert, schützt vor Flecken und ist im Berufsbekleidungsgeschäft für 20 Mark zu haben.

Erhitzen Sie zwei Eßlöffel Olivenöl in einer Pfanne, bis winzigkleine Bläschen im Öl aufsteigen. Geben Sie den Knoblauch, sieben frisch gezupfte Salbeiblätter, einen Halm Estragon und den Chili hinein und gleich darauf das Fleisch. Bißchen warten, dann rühren. Jetzt tritt eine hellbräunliche Flüssigkeit aus dem Geschnetzelten - erinnern Sie sich an den Schaum auf der Suppe? Der alte Freund im neuen Gewand. Salzen. Umrühren.

Nun rasch die Paprika beigegeben, noch eine Minute warten, dann das abgeseihte Pilzwasser zugießen. Noch einen Schluck Rosé dazu. Das Ganze gut drei Minuten leicht blubbern lassen. Dann fügen Sie einen viertel Becher (50 ml) Sahne hinzu.

Nehmen Sie in die linke Hand eine Tube Tomatenmark, in die rechte einen kleinen Schneebesen. Drücken Sie kleine Würste aus der Tube und mischen Sie sofort unter, bis die Konsistenz der Flüssigkeit ein bißchen sämig wird. Kurz abschmecken. Fehlt Salz oder Zucker?

Jetzt folgt der vom Unterbewußtsein stark geprägte Vorgang direkter Fütterung. Essen in den Schnabel stecken, tschilp, tschilp. Bitten Sie sie zum Herd, laden Sie ein kleines Stück Fleisch mit etwas Sauce auf einen Teelöffel und lassen Sie probieren. Okay. War das nahe genug?

Ruhig bleiben. Denken Sie daran, daß Sie Brot aufschneiden wollten, und dann essen Sie. Schenken Sie ihr von dem Rosé nach. Essen Sie. Sie ißt auch. Sie haben alle Zeit der Welt.

Jetzt wäre eigentlich der Nachtisch fällig. Vanilleeis mit Krokant und pürierten Erdbeeren. Denken Sie gut nach: Wollen Sie jetzt wirklich den Nachtisch? Wollen Sie wirklich den Nachtisch?

Sofern immer noch nichts klar ist, prüfen Sie nach, ob vielleicht die Wohnung brennt oder Sie sich aufgrund einer Raum/Zeitverschiebung in der falschen Geschichte befinden.

Jene eingangs erwähnte Frau, die gelegentlich verdächtige Restaurants betritt, hat den Autor übrigens mit Kaninchen zur Strecke gebracht. In Rotwein.

Zeit special 11/1997

 


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